Hinweise zur Formulierung von Interview-Fragen
- Keine Synthese verlangen: Befragte sollten nicht aufgefordert werden, spontan zusammenfassende Aussagen zu statistischen Kenngrößen zu machen oder schlussfolgernde Aussagen zu treffen. Dies würde eine Synthese-Leistung verlangen. Wir fragen also nicht: »Wie viele Leistungen erfassen Sie durchschnittlich pro Tag?« oder: »Was wäre aus Ihrer Sicht die wichtigste Verbesserung?«, sondern: »Wie viele Leistungen haben Sie heute erfasst? Ist dies ein typischer Tag?« oder: »Traten eben bei der Erfassung Schwierigkeiten auf? An welcher Stelle passierte dies?«.
- Nicht nach »Benutzerfreundlichkeit« fragen. Nehmen wir an, wir fragen: »Welche Aspekte finden Sie bei der Applikation nicht benutzerfreundlich?« Was bedeutet genau benutzerfreundlich? Benutzerfreundlichkeit als Konzept müsste weiter operationalisiert werden, damit sichergestellt ist, dass Fragende und Befragte jeweils das Gleiche darunter verstehen. Besser wäre es ohnehin, nach ihrem Verhalten zu fragen wie in diesem Beispiel: »Wann haben Sie zum letzten Mal in der Onlinehilfe nachgeschaut — oder Kolleginnen und Kollegen um Hilfe gebeten?«
- Offene Fragen stellen. Indem wir Fragen stellen, die nicht nur knapp mit Ja oder Nein beantwortet werden können, laden wir befragte Personen dazu ein, über neue und unerwartete Aspekte zu berichten. Oft erweisen sich diese als relevant und eröffnen Möglichkeiten für Anschlussfragen. Anstatt also zu fragen: »Ist die Erfassung von Leistungen einfach?«, fragen wir: »Wie verläuft das Erfassen der Leistungen? An welchen Stellen treten Schwierigkeiten auf?« Ja/Nein-Fragen können dann sinnvoll sein, wenn sie den weiteren Verlauf des Interviews steuern. Beispielsweise ebnet die Frage »Erfassen Sie auch Spesen?« den Weg zu tiefergehenden Fragen zur Spesenerfassung.
- Vom Generellen zum Spezifischen gehen. Indem wir zunächst mit allgemeinen Fragen beginnen, halten wir den Gesprächsraum offen und setzen nicht vorschnell einen Fokus — dadurch beeinflussen wir weniger. Wir können etwa mit der folgenden Frage beginnen: »Bitte erzählen Sie uns, wie Sie vorgehen, wenn Sie Leistungen erfassen?« Und werden erst dann konkreter: »Woher wissen Sie, welche Leistungen Sie bereits erfasst haben?«
- Mit Gedächtnisfehlern rechnen. Unangemessen sind Fragen, die nur mit einem unfehlbaren Erinnerungsvermögen belastbar beantwortet werden können. Beispiele solcher Fragen sind: »Wie viele Leistungen haben Sie in dieser Woche genau erfasst?« Es dürfte kaum realistisch sein, dass sich eine Person tatsächlich präzise gemerkt hat, wie viele Leistungen sie über einen Zeitraum von fünf Tagen genau protokolliert hat. Auf die Frage: »Wie viele Leistungen haben Sie heute erfasst?« dürfen wir hingegen schon eher eine der Realität entsprechende Antwort erwarten.
- Vorsicht bei hypothetischen Fragen. Riskant sind auch hypothetische Fragen. Die Frage: »Würden Sie es schätzen, Vorlagen für Zeiteinträge verwenden zu können?« generiert bei Nutzenden, je nach Erfahrung, schnell sehr unterschiedliche Vorstellungen zu einer potenziellen Lösung, die auf Vorlagen basiert. Ihre Antwort stützt sich dann auf eine uns nicht bekannte, vage Vorstellung und ist daher wenig aussagekräftig. Es ist besser, konkrete Lösungsvorschläge in Form von Prototypen zu zeigen — aber auch dann haben wir nur eine Aussage darüber, ob Nutzende annehmen, dass sie diese Lösung verwenden würden.
- Nicht nach Lösungen fragen. Ein Fehler, dem wir bei Interviews immer wieder begegnen, sind Fragen nach konkreten Lösungen, etwa zu gestalterischen Entscheidungen bei einem Interface. »Möchten Sie ein Dashboard auf dem Interface sehen?« ist hierfür ein Beispiel: Sollte es tatsächlich bei Nutzenden das Bedürfnis geben, eine Übersicht über zentrale Kenngrößen eines oder mehrerer Prozesse zu haben, so sind Dashboards eine mögliche Lösung. Nutzende sind keine Personen mit Expertise des Lösungsraums und kennen nur selten die bei einer sorgfältigen Lösungsfindung zu beachtenden Anforderungen und Einschränkungen. Es ist unsere Aufgabe als UX Designer, ein tragfähiges Konzept zu entwickeln, das Anforderungen von Nutzenden, technischen Gegebenheiten und wirtschaftlichen Erwägungen gleichermaßen Rechnung trägt.
Erarbeitung
Interviewfragen werden einerseits aus den Forschungsfragen und den Annahmen abgeleitet, andererseits kann auch auf nachfolgende Checkliste zurückgegriffen werden. Siehe dazu auch unter Merkmale von Personas und User Journeys.
Umfeld
- Wie sieht ein typischer Arbeitsplatz aus?
- Welche Hilfsmittel sind dort vorhanden?
- Welche Ablenkungen gibt es?
- Wie sind die räumlichen Gegebenheiten und welche Wege legen Nutzende bei der Arbeit zurück?
- Wie hoch ist der Lärmpegel und welche Beleuchtung herrscht am Arbeitsplatz?
- Gibt es andere Störungen und in welcher Frequenz treten diese auf?
- Mit welchen Begriffen werden relevante Objekte und Vorgänge bezeichnet?
Ablauf
- Welche Tätigkeiten im Arbeitsprozess lassen sich beobachten?
- Wie sieht ein Standardablauf aus?
- Welche Varianten verschiedener Prozesse können unterschieden werden?
- Wie häufig treten diese jeweils auf?
- Gibt es Standardwerte, die immer wiedergenutzt werden?
- Welche Hilfsmittel werden wie eingesetzt?
- An welcher Stelle entstehen wichtige Zwischenergebnisse?
- Welche Workarounds können wir identifizieren?
- Welche Mengengerüste können wir beobachten?
- Welche Probleme und Risiken treten auf?
- Welche Fehler treten auf und wie werden sie behoben?
- Wird unter Zeitdruck gearbeitet?
Ablauf
- Welche Personen sind in die Arbeitsdurchführung involviert?
- Welche Ausbildung haben die handelnden Personen?
- Welche Interaktionen zwischen welchen Personen können wir beobachten?