Der mit Collaborative UX vorgestellte Ansatz basiert auf vier tragenden Grundpfeilern. Die Vorgehensweise ist menschzentriert, kollaborativ, hypothesenbasiert und agil. Wir möchten diese Grundpfeiler im Folgenden kurz erläutern.
In erfolgreichen Entwicklungsprojekten müssen die mitunter widersprüchlichen Anforderungen verschiedener beteiligter Stakeholder sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Eine ausschließliche Zentrierung auf die Bedürfnisse von Nutzenden ohne die angemessene Berücksichtigung technischer Rahmenbedingungen oder Businessziele des Managements steht einem nachhaltigen Produkterfolg entgegen. Wir verstehen User Experience Design als Balance zwischen — mitunter konfligierenden — Anforderungen aus menschlichen Nutzungsbedürfnissen, technischen Restriktionen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Wir sprechen von einem »menschzentrierten« Entwicklungsvorgehen, wenn dieses auf iterative Validierungen eines Produktkonzeptes unter fortlaufendem Einbezug von Nutzenden zurückgreift und die Ergebnisse innerhalb eines Entwicklungsteams von verschiedenen Anspruchsgruppen vorangetrieben, geteilt und diskutiert werden.
Ein Team arbeitet zeitlich überdauernd in einer Sequenz von Workshops zusammen. Die Mitglieder des Teams bringen Kompetenzen und Fertigkeiten in verschiedenen Bereichen – Produktmanagement, Marketing, UX Design, Implementierung, Testing Testen und Betrieb – mit.
Das heißt selbstverständlich nicht, dass jedes Teammitglied diese Kompetenzen im eigenen Wissensstand vereinen muss. Wir sprechen vielmehr von einer produktiven interdisziplinären Kollaboration von Expertinnen und Experten mit unterschiedlichen fachlichen Hintergründen.
Die Mitglieder eines disziplinübergreifenden Teams konzipieren und gestalten ein Produkt gemeinsam und beziehen Nutzende — als eine zentrale Anspruchsgruppe — in die Entwicklung von Lösungskonzepten ein. Alle Teammitglieder tragen zur Produktstrategie, zur Konzeption, zum Prototyping, zur Validierung, zur Auslieferung und schließlich zur Inbetriebnahme bei.
Designentscheidungen bei der Produktentwicklung sind das Ergebnis der Zusammenarbeit des gesamten Teams — und nicht alleiniges Resultat spezialisierter UX Designer. Das verklärende Bild von Feenstaub verbreitender verbreitenden Design Heros hat damit ausgedient.
Es ist leicht einzusehen, wie anspruchsvoll eine disziplinübergreifende Zusammenarbeit in der Praxis ist — auch Teamarbeit kennt Grenzen. Damit die angesprochene interdisziplinäre Zusammenarbeit funktioniert, ist eine sorgfältig abgestimmte, koordinierte Abfolge gemeinsamer und getrennt durchzuführender Aktivitäten nötig.
Die mit Collaborative UX vorgeschlagene Sequenz von acht Workshops spiegelt den strukturierten Ablauf eines kollaborativ durchgeführten Projektes praxisnah und — so hoffen wir — einfach verständlich wider. Die Workshops können, je nach Verfügbarkeit des Teams, in dichter zeitlicher Aufeinanderfolge oder mit einigem Abstand eingeplant werden. Große zeitliche Abstände bergen jedoch die Gefahr, dass Wissen, das in den Workshops entsteht, nicht mehr so präsent ist und durch eine Analyse von erstellten Artefakten als aufgefrischt werden muss.
Zur Dokumentation von in Workshops erarbeiteten Ergebnissen greifen wir, in unseren Projekten wie auch in diesem Buch, auf einfache zurück, die wir in Maps strukturiert arrangieren. Solche Maps halten Teilnehmende zur kompakten Darstellung von (Zwischen-) Ergebnissen an und erlauben eine größtmögliche Flexibilität.
Sie kondensieren die gemeinsam im Team entwickelten Gedanken in präsenten Artefakten, ohne dabei einzuschränken. Liegen neue Erkenntnisse vor, so können erarbeitete Maps einfach neu arrangiert oder erweitert werden. In unserer Praxis haben sich Maps als eine leichtgewichtige Form einer (minimalen) Dokumentation erwiesen.
Die kollaborative Zusammenarbeit interdisziplinärer Teams ist fester Bestandteil verschiedener Ansätze zum Design Thinking. Es ist daher kaum verwunderlich, dass der hier vorgestellte Prozess an verschiedenen Stellen Gemeinsamkeiten mit dem Vorgehen in Modellen des Design Thinking aufweist — auch dort werden teambasiert unterschiedliche Artefakte mit dem Ziel entwickelt, Ideen zu visualisieren, weiterzuentwickeln und zu überprüfen.
Während der Zusammenarbeit in einem Projekt durchläuft ein Team einen intensiven Lernprozess, in dessen Zentrum Annahmen stehen. Annahmen reflektieren ein mehr oder weniger angemessenes Bild der Wirklichkeit. Damit wir Sicherheit über die Angemessenheit von Annahmen finden, müssen diese überprüft werden: Haben wir beispielsweise Annahmen zu Nutzenden einer Anwendung, so können wir diese durch Methoden der Nutzerforschung stützen oder widerlegen.
Das Treffen von Annahmen ist bei der Produkt- oder Servicekonzeption unabdingbar. Bei einem hypothesenbasierten Vorgehen identifizieren wir die für ein gegebenes Produkt kritischen Annahmen und überprüfen diese zielorientiert. Wir formulieren explizite Hypothesen und hinterfragen ihre Gültigkeit durch Nutzerforschung oder Experimente.
Wir haben ein Fallbeispiel gewählt, dass sich als roter Faden durch die Kapitel des Buches zieht. Auch in diesem Fallbeispiel beginnen Teammitglieder mit dem kritischen Hinterfragen der Annahmen, die hinter einem Projektauftrag stehen. Die Generierung möglicher Produktideen während der Bearbeitung eines Projektauftrags verstehen wir als Erstellung von Produkthypothesen, die nachfolgend zu überprüfen sind.
Collaborative UX unterteilt das Vorgehen bei der Produktentwicklung in zwei Phasen: Envisioning und Delivery. Im Envisioning beginnen wir mit dem “ »Verstehen« des Problemraums. Wir treffen Annahmen zu einem vorliegenden Problem und erkunden diese durch Nutzerforschung. Im zweiten Teil des Envisioning,Bei diesem »Erkunden«, erfolgen Annahmen zu möglichen Lösungen und deren Überprüfung durch Validierungsstudien, in denen beispielsweise Nutzende repräsentative Aufgaben mit einem Prototyp bearbeiten. In der zweiten Phase »Delivery« werden im Team Annahmen zu möglichen Releases formuliert und konkrete Metriken zu deren Validierung definiert.
Wir gründen informiertes Gestalten auf belastbare Fakten und nehmen eine wissenschaftliche Sicht auf Designaktivitäten ein: Wir prüfen sorgfältig unsere Annahmen und testen Hypothesen zur Erreichung unserer Ziele fortlaufend in vorbereiteten empirischen Erhebungen und Experimenten. Das Feedback erfolgt zeitnah, Releases können zeitgerecht ausgeliefert werden: Ein solcher hypothesenbasierter Lernprozess steht auch im Vordergrund aktueller Lean Lean-UX-Ansätze.
Um umfangreiche und anspruchsvolle Projekte erfolgreich zu bewältigen, bedient sich die agile Entwicklung eines einfachen Tricks: Ein großes Projekt wird in mehrere kleine unterteilt und in jedem Sprint der Realisierung wird ein »Stück« der Software vollständig umgesetzt — so, dass es in lauffähiger Form ausgeliefert werden kann.
Außerhalb agiler Ansätze kämpfen haben wir als UX Designer oft mit einem Phänomen zu tun, das wir Delayed Feedback Problem (DFP) nennen. Zwischen der Abgabe einer Designspezifikation für ein Produkt, an dessen Gestaltung intensiv gearbeitet wurde, und dessen tatsächlichem Release vergeht oft eine sehr lange Zeit.
Zwischenzeitlich änderten sich viele Ausgangsparameter und Implementierungsarbeiten nahmen (nicht nur deswegen) einen anderen Verlauf: Der Bezug zu dem ursprünglich dokumentierten gestalterischen Entwurf ist dann nicht nur deutlich verzögert, sondern oftmals nachgerade geradezu unklar.
Die in diesem Buch diskutierten agilen Designmethoden lösen das angesprochene DFP auf und betonen ein zügiges Erheben und Berücksichtigen von Marktreaktionen als zentrale Eckpfeiler des skizzierten kollaborativen Designprozesses.
Collaborative UX verzichtet auf die Entwicklung einer umfassenden und detaillierten Spezifikation. Im Zentrum steht vielmehr die Entwicklung einer überzeugenden Produktvision, die im weiteren Verlauf der Umsetzung auf die jeweils geplanten Produktinkremente angewandt wird. Dies ermöglicht die Erreichung von zwei wesentlichen Zielen: Zum einen werden Aktivitäten auf das Entstehen eines stimmigen Gesamtkonzeptes fokussiert, in dem vorausschauend wichtige Risiken adressiert werden können.
Der mit Collaborative UX vorgestellte Ansatz basiert auf vier tragenden Grundpfeilern. Die Vorgehensweise ist menschzentriert, kollaborativ, hypothesenbasiert und agil. Wir möchten diese Grundpfeiler im Folgenden kurz erläutern.
Zum anderen verliert sich das Team nicht in Details, die sich sowieso während der Umsetzung noch ändern können. Die Umsetzung selbst erfolgt anschließend inkrementell. Damit wird eine frühere Auslieferung begünstigt und das DDelayed Feedback ProblemFP zumindest reduziert.
Können User Experience Designer den Entwicklungsprozess auch nach Auslieferung erster Produktinkremente weiter begleiten, so resultiert daraus ein entscheidender Vorteil: Einsichten aus der aktiven Validierung produktiver Releases können in die Fortentwicklung nächster Releases einfließen. Design erfordert kontinuierliches Feedback: Aussagekräftige, inkrementelle Releases helfen, die richtigen Produkte und Services zu entwickeln — solche, die den Bedürfnissen von Menschen erfolgreich begegnen und auf dem Markt erfolgreich sind.